Streiflichter

1. Kristine und ich haben lange überlegt, warum es den meisten Kollegen so schwer zu fallen scheint, über ihre eigene Arbeit zu reden und sich grundsätzlich darüber auszutauschen. Dabei meine ich nicht die Produktionsbedingungen, gelegentlich könnte einen ja der Verdacht beschleichen, dass es leichter ist, mit Kulturbeamten über Ästhetik und Moral zu sprechen als mit Künstlern, die – wenn man ihnen glauben könnte -  vielleicht die besseren Beamten abgäben. Jedenfalls wundere ich mich, dass so viel über Verteilungsgerechtigkeit gesprochen wird, aber in vertauschten Rollen. Und wäre die Verteilung der Ressourcen plötzlich gerecht, glaube ich nicht, dass das Zufriedenheit auslöste. Jeder weiss, dass wir ein Lotteriespiel spielen, aber des Kaisers Neue Kleider sind überall aufgespannt. Kunst ist nicht übersetzbar in Geld, so banal das ist, muss man das trotzdem wiederholen. Im Gegenteil, in meiner Erinnerung bin ich sogar mit dem, was ohne Geld passiert und gelungen ist, in eigenartiger Weise enger verbunden als mit all diesen durchkalkulierten, professionellen Produktionen.

2. Es gibt vielleicht einen wesentlichen Unterschied in der Auffassung, wie man Theater macht. Macht man es nämlich allein, auf sich bezogen, oder ist das auch ein gemeinsamer Prozess, den man da betreibt? Es ist ja bemerkenswert, jeder weiss, dass die Befriedigung aller existenziellen Bedürftnisse auf sich allein bezogen immer primitiv ist. Und nicht auf sich allein bezogen dann gleich das Komplexeste, das man sich überhaupt vorstellen kann. Und warum ist es dann so, dass im Theater heute so eine monomanische Unruhe waltet, wie Kristine Tornquist gesagt hat? Ich pflichte Helga Utz bei, das Drama entsteht aus der Deformation. Das Drama des Einzelnen, des Autors, der etwas Wahres sagt. Und wahr ist immer nur Deformation. Aber Theater ist nicht nur eine literarische Metapher, für mich hat es auch mit der Schönheit der Larven in der Pfütze zu tun. Eine kommunikative Schönheit, würde ich einmal sagen. Und dabei zuzuschauen, wie die Pfütze trocknet, hat alle dramatische Wucht der Welt.

3. Und wie soll man denn vom Anspruch lassen, die Welt zu verbessern? Die Perspektive des Theaters ist immer die ideale, selbst da, wo sie sich des Vergeblichen annimmt. Ich befürchte, dass wir da etwas verloren haben: wo es nicht mehr um das Mitfühlen geht, ist die Ironie schon da. Und ich glaube, wir leben in einer sehr ironischen Zeit. Ironie ist aber ein Sprengsatz, das kann nur noch in die Luft gehen. Da stimmt dann einfach nichts mehr, man hat zwar seinen Spass, aber irgendwann bleibt nur dann nur mehr der Sex, und selbst der wird dann langweilig. Ich stimme Markus Kupferblum zu, wenn er die Katharsis einmahnt. In der Aufklärung war damit gemeint, Menschen aus Fleisch und Blut auf die Bühne zu stellen, nicht mehr unangreifbare Götter. Mit denen das Publikum mitfühlen kann. Natürlich wird so das Theater zur moralischen Anstalt, aber es ist eine der letzten, die es gibt, ausser der Freiwilligen Feuerwehr. Mir ist das ein sehr wichtiges Anliegen, dieser Aspekt von Kultur, nicht nur der der Kunst. Das ist durchaus lustiger gemeint als es jetzt klingen mag. Aber ich pflichte Michi Scheidl bei, dass wir eine Theaterkultur geschaffen haben, wo bevorzugt die Besserwisser auffällig werden, nicht die Neugierigen, oder die Sensiblen, die übrigens auch wissen, dass ohnehin und selbstverständlich alles neu ist, was echt ist. Das Neue muss das Alte gar nicht vermeiden, um neu zu sein.

4. Wer hat eigentlich gesagt, dass wir immer modern sein sollen? Dass man immer alles neu machen muss? Und das auch noch im Theater, wo ja nichts von dem bleibt, was man macht. Markus, meinst Du das mit der Sinnlosigkeit, deren Gefühl einen manchmal beschleicht? Hugo Ball hat über Frank Wedekind gesagt: Sein Bemühen war, die letzten Reste einer ehedem fest gegründeten Zivilisation und sich selbst auf dem Theater ins Nichts aufzulösen. Hoffentlich ist das vorbei, dieser eigenartige Nihilismus. Einen dramatischen Text zu schreiben ist die einzige formale Möglichkeit, eine Meinung nicht kundzutun, es gibt keine andere. Die Ironie an der Sache ist die Unmöglichkeit zu unterscheiden, wer im Trüben fischt und wer in der Tiefe. Obwohl man das natürlich ganz genau ahnen kann. Und wie die Selbstironie wirklich funktioniert, weiss meist nur der Kritiker, in Wirklichkeit gibt es ja keine.

5. Die ernste und komische Oper sind ein seltsamer Wirrwarr des Großen und Kleinen, des Rührenden und Lächerlichen, des Widersinnigen, Läppischen und Unnatürlichen. Welchen Eindruck macht eine speisende Operngesellschaft, die singt: Mir schmeckt der Wein! Vortrefflich ist der Braten, noch besser ist die Brühe! Und wenn der Chorus singt: Gebt acht, er wird sich jetzt erstechen! und dann noch jemand Da capo! ruft. Eigenartig, dass man immer an Revolution denkt, wenn man sich im Theater in die dritte Reihe setzt.

Jury Everhartz